Der selbstgebaute Grill

Spätsommer 2017: Familie R. aus Afghanistan erreicht nach etwa zweieinhalb Jahren auf der Flucht Friedland. Zeiten in Lagern sind immer auch Zeiten des Wartens, des Lebens im Übergang und des nicht Ankommens. Um sich davon nicht zermürben zu lassen und die Hoffnung nicht aufzugeben, nutzen manche Geflüchtete ihre Kreativität, um dem Warten etwas entgegenzusetzen und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Im Fall von Rasul R. war dies der Bau eines Grills, der im FriedlandGarten heute noch bei vielen Aktivitäten genutzt wird.

Handwerkskunst - Der selbstgebaute Grill

Spätsommer 2017: Rasul R. und seine Familie, Ehefrau und zwei Kinder verbrachten mehrere Wochen im Grenzdurchgangslager Friedland. Vom Sozialdienst der Landesaufnahmebehörde und über Flyer, die im Grenzdurchgangslager auslagen, haben sie von einer interkulturellen Begegnungsstätte erfahren, die ihnen die Eintönigkeit der Tage und das Warten auf den Transfer erträglicher machte: dem FriedlandGarten. Hier wird gemeinsam gearbeitet, geerntet, gefeiert und geredet. Eines Tages kam dort ein neu gebauter Lehmofen zum Einsatz und Rasul bemerkte, wie sehr dieser qualmte. Spontan hatte er eine Idee: „Das kann ich besser. Ich baue euch einen Ofen, der besser zieht“, kündigte er an. Und so begann er, aus 3x2-Meter-großen Blechen aus rostfreiem Edelstahl der Dichte V2A mit einfachsten Mitteln einen Gemeinschaftsgrill herzustellen. Eine Zeichnung fertigte Rasul vorher nicht an; die Konstruktion hatte er im Kopf.

Das Vorstellungsvermögen und die Fertigkeit des Ofenbaus hat der Afghane schon als Kind von seinem Vater erlernt. In seinem Heimatland war Rasul in einer Autowerkstatt beschäftigt und dort zuständig für Metallarbeiten und Reparaturen an der Karosserie der Autos. Sehr viel Handwerkszeug stand ihm auch dort nie zur Verfügung. Und so baute er mit einfachsten Mitteln und vor allem mit seinen Händen in dem interkulturellen Gemeinschaftsgarten in Friedland einen Grill, eine Kebab-Schale und einen großen Wasserkessel für zukünftige Nutzer*innen des Gartens. Für den Bau der Objekte verwendete er lediglich zwei Hämmer in unterschiedlicher Größe, eine Blechschere und seine Hände, mit denen er die Teile zusammenfalzte. Als provisorische Werkbank diente ein Holzklotz mit einem dicken Hammerkopf darauf. Für die wenigen Schrauben nutzte er einen Akkuschrauber. Die Materialkosten betrugen insgesamt 160 Euro. Einige notwendige Kleinteile konnten aus dem Schrottcontainer gerettet werden, u.a. auch ein Lochblech für die Kebab-Schale. Das Handwerkszeug wurde aus privaten Haushalten zusammengetragen und ihm zur Verfügung gestellt. Der Grill entstand innerhalb von zwei Wochen. Durch den langen Kamin zieht der Rauch besonders gut ab. Bis heute ist das Werkstück im FriedlandGarten im Einsatz und beeindruckt die Nutzer*innen durch die große Präzision, mit der es gefertigt worden ist. Der Bau des Grills gab Rasul die Gewissheit, etwas Sinnvolles und Nützliches für seine Familie, Freunde oder Besucher*innen des Gartens zu tun. Etwas mit den Händen herzustellen und andere damit zu versorgen bedeutet für Rasul, ein Stück Selbstachtung und Stolz entwickeln bzw. wiedererlangen zu können.

Inzwischen lebt die Familie in einem kleinen Dorf im Emsland. Hier hat Rasul für sich und seine Familie einen Außenofen gebaut sowie einen Samowar, den er aus einem Stück Aluminium aus dem Abfall konstruiert hat. Zudem hat er einen von den Nachbarn viel bewunderten Wasserkühler aus einer kaputten Dunstabzugshaube hergestellt, der an heißen Tagen die Raumtemperatur senkt. Während sein elfjähriger Sohn inzwischen die Regelschule besucht - die Tochter ist erst zwei Jahre alt - lernen er und seine Frau Deutsch. Rasul hatte die Möglichkeit, in der Autowerkstatt im Dorf ein Praktikum zu absolvieren; eine längerfristige Beschäftigung war nicht möglich. Er wäre sehr froh, wenn er seine Hände wieder für eine sinnvolle Tätigkeit nutzen könnte und eine Anstellung hätte, ähnlich der in seinem Heimatland.

Ute Marie Metje

Nach ihrer Flucht im Jahr 2015 aus Afghanistan und kurzem Aufenthalt bei Verwandten im Iran, über die Türkei und Griechenland kommend, lebte die Familie R. zwei Jahre in einem Flüchtlingslager in Dänemark.

Materialität der Migration
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