Von Zarzis nach Göttingen und zurück: Die Schuhmacherei „Amir“

Seine Ausbildung hat der Schuhmacher im Jahr 1991 in der Stadt Zarzis in Tunesien, nahe der Insel Djerba begonnen. Dort hatte er zwei Jahre lang seinen eigenen kleinen Laden, in dem er Reparaturen anbot, bevor er sich entschloss nach Deutschland zu gehen. Nach verschiedenen Jobs, unter anderem als Orthopädieschuhmacher, längeren Aufenthalten in Spanien und in Italien, entschied er sich dazu, sich selbstständig zu machen und sich nun ganz in Göttingen niederzulassen.

Es riecht nach Leder und Maschinenöl. Der Laden ist kunstvoll und individuell v.a. mit Naturholz eingerichtet. Die Schuhmacherei „Amir“ gehört mittlerweile zum festen Bestandteil der Theaterstraße in der Göttinger Innenstadt, wo Faical Souei regelmäßig, auch außerhalb seines Geschäfts, manchmal auch nach Ladenschluss, noch anzutreffen ist.

Doch aller Anfang war schwer. Entgegen den Ressentiments von zahlreichen Bankangestellten, die ihm Kredite verweigerten, mithilfe einiger Beharrlichkeit und einer Gründungsberatung schaffte Souei es, sich selbständig zu machen. Er eröffnete den Laden und machte ihn nach und nach zu dem Gesamtkunstwerk, das er heute ist.

Gefragt danach, was er Menschen empfehlen würde, die z. B. nach Deutschland als Geflüchtete gekommen sind und ihr eigenes Geschäft aufmachen wollen, empfiehlt er: „Das Wichtigste ist es, die Sprache zu lernen, ohne B1-Niveau läuft gar nichts. Das braucht man schon allein um sich mit der deutschen Bürokratie vertraut zu machen. Vor allem muss man sich über seine Fähigkeiten im Klaren sein, d. h. wissen, was man gut kann. Und dann gilt es einen soliden, innovativen Businessplan zu erstellen und sich einen guten Ort für sein Vorhaben zu suchen. Man muss etwas Eigenes machen und nicht etwas, das es schon fünfmal gibt.“

Das ist Faical Souei auf jeden Fall gelungen, denn einerseits bietet er qualitativ hochwertige und einfallsreiche Waren an, andererseits gibt es auch eine Kontinuität in Bezug auf seine Arbeit. Denn im Wesentlichen unterscheiden sich die Maschinen und Werkzeuge nicht von der Ausrüstung, mit dem der Schuster damals in Zarzis mit seiner Arbeit begonnen hatte. „Die sind wirklich nicht kaputt zu kriegen, das ist richtig gute Qualität“, sagt er über die gusseiserne Nähmaschine der Marke Adler, mit der er seit Jahren Schuhe näht und die ein echtes Schmuckstück ist, auf das er immer wieder angesprochen wird.

In der Schuhmacherei finden sich aber keine Werkzeuge aus Tunesien. Lediglich ein handgeschmiedeter Schuhlöffel aus Eisen hat Souei von einiger Zeit aus dem Urlaub mitgebracht. Ein Blasebalg, oft als typisches arabisches Dekor gelesen, ist in Wirklichkeit das Mitbringsel eines deutschen Freundes.

Auch wenn Reparaturen seine Haupteinnahmequelle sind, die eigentliche Arbeit von Faical Souei ist das Schuhe fertigen. Jeder Schuh ist ein Unikat mit einem eigenen Design und einer eigenen Geschichte. In dem aufwendig gestalteten Schaufenster finden sich zahlreiche Modelle: Von Stiefeletten über Raulederhalbschuhe und Slipper bis hin zu edlen Lackschuhen wird in der Schusterei alles per Hand nach Wunsch gefertigt. Ein Stück, auf das Faical Souei besonders stolz ist, war ein Paar Schuhe aus braun-weiß-kariertem Leder, das er selbst geflochten hat.

Normalerweise dauert es um die drei Wochen, bis ein Paar Schuhe fertig auf der Ladentheke steht. Kostenpunkt: 450 Euro. Angesichts der aufwendigen Handarbeit sei das immer noch günstig, unterstreicht der Handwerker, dessen Kundschaft aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen kommt, zum überwiegenden Teil jedoch aus Frauen besteht, die oft für ihre männlichen Partner gleich miteinkaufen.

Faical Souei bleibt, auch wenn er sich niedergelassen hat, in Bewegung. Sein Geschäft und seine Waren entwickelt er mit viel Hingabe fort. Doch er hat auch andere Ideen.

Im Moment plant er gerade ein Projekt in Kooperation mit dem Migrationszentrum Göttingen, dass abgelehnten Asylsuchenden aus Tunesien in ihrem Land eine Chance geben möchte, eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Im Rahmen dieses Projekts möchte er junge Menschen zu Schuhmacher*innen ausbilden.

Ob er aber in Tunesien wirklich zurechtkomme, nach Jahrzehnten als Schuster und selbstständiger Unternehmer in Deutschland, darüber sei er sich noch nicht ganz im Klaren, sagt Souei.

Friedemann Yi-Neumann