Vom Ding zum Ereignis: Essen in der Zwischenzeit
Für gewöhnlich bereitete Arif Ibrahim Dal (Linsensuppe) oder Curries aus Kartoffeln und Gemüse zu. Sein Freund Raafe war für die Zubereitung der Chapatis (ungesäuertes flaches Brot) zuständig und Haani bereitete den Raum für das gemeinsame Essen vor und machte danach den Abwasch.
Ich war ein paar Mal zum Essen eingeladen, oft spontan, wenn die Nachbarn von nebenan vorbeikamen. Das gemeinsame Essen, das ich im Folgenden beschreibe, war das letzte, das Arif, Raafe und Haani in Friedland einnahmen. Am nächsten Morgen wurden sie in eine andere Unterkunft in der Nähe von Braunschweig verlegt.
Arif briet das Hühnchen mit Currygewürzen an (ich hatte beides davon mitgebracht), bis es fast durch war und fügte das Gemüse – Zwiebeln, Kartoffeln, Möhren – und Wasser und Salz hinzu. Er roch das intensive Aroma des brutzelnden Fleisches und der Kräuter, das sich im ganzen Gebäude entfaltete, und würzte sein kulinarisches Kunstwerk, bis er zufrieden war. „Ich könnte es besser machen, wenn ich die richtigen Küchenutensilien hätte,“ sagte er, „aber es schmeckt trotzdem sehr gut.“
Obwohl die Zutaten an diesem Abend gut waren, bedarf das Kochen in einer Gemeinschaftsküche eines Lagers Improvisations- und Kompromissfähigkeit. Die Zubereitung der Chapatis zur Zufriedenheit aller drei stellte eine besondere Herausforderung dar. Raafe rollte den Teig mit einer Dose Rasierschaum aus (weil ein Nudelholz zu teuer war) – was nicht als Problem wahrgenommen wurde. Allerdings stellte sich heraus, dass es schwierig war, das Brot, das sonst über einem offenen Feuer gebacken wurde, auf einem Elektroherd zuzubereiten, da dieser oft nicht heiß genug war, um das Brot aufgehen zu lassen. Raafe legte es dann direkt auf den Herd.
An diesem Abend kamen ein Afghane und ein Rumäne in Raafes und Haanis Raum - eigentlich für einen letzten kurzen Besuch Letztendlich blieben sie den ganzen Abend und genossen die Gastfreundlichkeit. [1] Die meisten der im Raum versammelten Menschen hatten lange Asylbiografien in verschiedenen Ländern; für zwei von ihnen war es sogar das zweite Mal im Durchgangslager Friedland. Sie sprachen miteinander auf Urdu, Deutsch, Englisch und Arabisch. Aufgrund der Sprachbarrieren war immer eine Person von den Gesprächen ausgeschlossen, bis zur nächsten Sprache gewechselt wurde und eine andere Person für eine Weile „raus“ war.
Ein Thema dieser Diskussionen war der Vergleich von unterschiedlichen Speisen, Geschmäckern und Formen der Zubereitung, die sie von Zuhause kannten. „In Bagdad lassen sie den Fladenbrotteig für ein paar Tage gehen. Sie kneten ihn viele Male, bevor er gebacken wird erzählte mir ein irakischer Bruder. Wir machen das etwas einfacher und schneller und es schmeckt auch gut“, sagte Raafe und jeder stimmte zu. Das Essen wurde wieder und wieder gelobt. Arif lächelte erfreut und dankte mir so häufig für das Kaufen der Lebensmittel, dass ich langsam etwas verlegen wurde.
Ein anderes Gesprächsthema war das Leben im Lager, besonders die lästigen Dinge wie das überlastete WiFi-Netz oder die schlechte Qualität des Essens. Außerdem waren die Asylverfahren ein zentrales Thema. Die Verfahren aller Anwesenden waren abgelehnt worden und sie machten fatalistische Witze über diesen Umstand. Für einen Augenblick ermöglichte das gemeinsame Lachen und das Teilen von türkischer Zuckerwatte Erleichterung von der Tristesse ihres Lebens.
Diese Weggefährten und Nachbarn unterschiedlicher nationaler, ethnischer und religiöser Herkunft verhandelten das, was Tilmann Heil als "Minimalkonsens" [2] bezeichnet und der ein Zusammenleben trotz divergierender Ansichten, Identifikationen und Werte ermöglicht. „Es ist egal ob jemand Muslim, Christ oder Jude ist, oder sogar schwul. Hier vertragen wir uns alle und respektieren einander.“ An jenem Abend wurden diese Sätze, die das Fundament der Koexistenz ausdrücken, wie ein Mantra in unterschiedlichen Formen und Sprachen wiederholt.
Friedemann Yi-Neumann