Nirgends ist es wie zu Hause
Mostafa, ein 25-jähriger talentierter Afghane, ist das älteste Kind einer ziemlich großen Familie; seine Mutter hat Probleme mit dem Grauen Star und muss operiert werden, und sein Vater, der einzige Geldverdiener der Familie, ist ein Saisonarbeiter. Mostafa interessiert sich für Grafik und Fotografie und schaffte es, eine Berufsausbildung zu absolvieren, die die iranische Regierung für Migrant*innen, die Papiere haben, anbietet.
Da er Grafikdesign beherrschte, wurde Mostafa als Freiwilliger in unserem Team angestellt [1]. Es lief ein landesweiter Fotowettbewerb mit einem guten Preis, für den Mostafa ein Foto schoss und sein Bild einsandte. Überraschenderweise gewann er einen Preis in Höhe von 10 Goldmünzen, was 20 Millionen iranischen Toman (damals etwa 4.000 Euro) entsprach. Ich freute mich für ihn und seine Familie, da ich davon ausging, dass mit diesem Geld viele finanzielle Probleme der Familie gelöst werden würden und die Mutter sich vielleicht einer Augenoperation unterziehen könnte. Ungläubig erfuhr ich, dass Mostafa das ganze Geld für eine teure Kamera ausgegeben hatte, die er sich schon immer gewünscht hatte!
Verblüfft, verwirrt und auch ein bisschen wütend über seine Entscheidung, begann ich darüber nachzudenken, wie ein Mensch die eigenen Bedürfnisse priorisiert. Nach der Maslowschen Bedürfnispyramide sollte das Bedürfnis nach dieser brandneuen Kamera ganz oben auf der Pyramide stehen und erst dann verfolgt werden, wenn alle physiologischen Bedürfnisse und so weiter erfüllt waren. Wie hatte Mostafa seine Bedürfnisse priorisiert, was war für ihn im Leben wichtig? Lebens? Warum hat er mit dem Geld nicht ein kleines Unternehmen gegründet? Wie reagierte seine Familie auf diese Entscheidung, die er getroffen hatte? Und die kranke Mutter, wie hat sie sich dabei gefühlt? War das nicht eine egoistische Entscheidung?
All diese Fragen und Gedanken schwirrten mir im Kopf herum als ich sein preisgekröntes Foto im Internet suchte. Es war ein Bild, das er "Nowhere is like Home" genannt hatte. Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass er ein Migrant war, ein Geflüchteter, der seine Träume in Kabul gelassen hatte, um in einer Stadt im Iran Zuflucht zu suchen, die er nicht länger als für 15 Tage verlassen darf. Vielleicht war diese Kamera eine Entschädigung für diese ganze bittere Geschichte, für die Kindheit, die er nie hatte. Vielleicht war sie mit bestimmten Gefühlen verbunden, vielleicht war sie etwas, das ihm das Gefühl gab, wieder stolz auf sich selbst zu sein, trotz der Träume, die er nur wegen der Flucht und anderer Zwänge des Lebens im Exil, nicht erreichen konnte.
Ich freute mich für ihn und schaltete den Computer aus, lächelnd über die Entscheidung, die er getroffen hatte.
Ein paar Tage später veranstaltete das Team eine kleine Party, um Mostafas Leistung zu feiern. Er erhielt einen Bilderrahmen als Geschenk, gefolgt vom Beifall des Teams. Alle waren neugierig auf den Grund für seine Entscheidung, also fragten wir ihn danach. Mit einem Lächeln gab er eine kurze Antwort: "Wenn ich sie jetzt nicht gekauft hätte, hätte ich nie wieder die Möglichkeit gehabt, sie zu kaufen. Ich möchte weiter fotografieren und brauche eine gute Kamera". Aber es war mehr als nur eine gute Kamera. Es war die neueste Version; eine super professionelle Kamera, die sich kaum jemand leisten kann. Der Betreuer des Teams merkte an, dass es vielleicht gut gewesen wäre, wenn Mostafa eine normale, billigere Kamera gekauft und den Rest des Geldes für andere Dinge verwendet hätte. Mostafa blieb stumm, das Lächeln immer noch auf seinem Gesicht. Es schien, als hätte er eine Menge zu sagen, aber er entschied sich einfach, es nicht zu tun.
Heute habe ich Mostafa nach langer Zeit wieder kontaktiert und ihn noch einmal nach dem Grund für seine Entscheidung gefragt, und er schrieb mir: "Das Leben ist nicht einfach für einen Migranten. Ein Migrant geht durch viele Schwierigkeiten. Kunst ist hilfreich, sie kann Leben retten. Sie gibt mir Motivation, weiterzumachen, Motivation, für ein besseres Leben zu kämpfen. Ein Fotograf ist durch seine Fotografie bekannt; um die Fotografie zu machen, braucht er eine Kamera. Ja, dieses Geld könnte viele Probleme lösen, aber es wäre nur eine vorübergehende Lösung. Ich habe diese Kamera gekauft, weil ich meine Zukunft darauf aufbauen will. Ich bereue nicht, dass ich dieses Geld dafür ausgegeben habe, denn ich glaube, um ein Profi zu werden, muss man den Willen und den Mut haben, in eine Sache zu investieren und keine Angst davor haben, für seine Kunst und seinen Beruf Opfer zu bringen... Obwohl es viel Kummer um das Brot gibt, musste ich das für einen langfristigen Zukunftsplan opfern."
Als ich seinen Text auf meinem Handy las, spürte ich eine innere Angst. Ich wünschte mir in meinem Herzen, dass seine Willenskraft die Umstände seiner Umgebung überwinden kann. Ein Geflüchteter im Iran zu sein, ist keine leichte Sache!
Malihé Bayat Tork