Das silberne Taschenmesser

Das Taschenmesser besteht aus Aluminium und Stahl und wurde 1948 angefertigt. In den Griff wurden die Initialen „H.K.“ und das Jahr „1948“ punziert. Im Jahr 2014 nahm Heinrich Kröger mit dem Projekt Museum Friedland Kontakt auf, auf das er über die Presse aufmerksam geworden war. Das Messer wurde zusammen mit einer Tabakdose dem Museum im April 2014 zugesendet und in die Museumssammlung aufgenommen.

Heinrich Kröger absolvierte eine kaufmännische Lehre in seiner Heimatstadt Hamburg, als er 1943 mit 18 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Im Frühjahr 1945 geriet er in Polen in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im Oktober 1945 wurden Kröger und gut 1.000 weitere Kriegsgefangene an Polen übergeben. So verbrachte er seine Gefangenschaft bis 1949 im Arbeitseinsatz in Polen, davon zwei Jahre auf einem landwirtschaftlichen Gut nahe Lublin. Danach lebte er zwei Jahre in einem Gefangenenlager in einer Kaserne in Lublin. 1949 wurde Kröger mit weiteren Gefangenen nach Westdeutschland entlassen. Mit einem Transport über Warschau erreichte er Friedland, wo er zwei Tage verbrachte. Zurück in Hamburg wohnte er zunächst bei seinen Eltern, bevor er seine Lehrzeit bei seiner alten Firma fortsetzen konnte.

Das silberne Taschenmesser löst bei mir verschiedene Assoziationen aus. Zum einen reiht sich das Messer in eine größere Anzahl Objekte unserer Museumssammlung ein. Verschiedene Alltagsgegenstände wurden von Kriegsgefangenen in den Lagern selbst angefertigt. Dosen und Bestecke aus Metall, Kleidungsstücke und teilweise auch sehr detailliert und kunstfertig gearbeitete Schmuckstücke sind darunter. Dementsprechend [MK1] waren Schuhmacher, Metallarbeiter und Handwerker jeder Art wichtige Personen im Lagerleben.

Zum anderen kommen mir bildhaft Szenen des Lagerlebens vor Augen und die damit in Verbindung stehende Geschichten. Hermann Günther und Karl Hampe lernten sich während ihrer Gefangenschaft im Lager Uljanowsk kennen. Die zwei eigentlich recht unterschiedlichen Persönlichkeiten blieben auch nach ihrer Entlassung enge Freunde, was auch an dem gemeinsamen Heimatort Jühnde (nahe Göttingen) lag.

Während das Taschenmesser von Heinrich Kröger von einem Kameraden für ihn angefertigt wurde, war Karl Hampe selbst Schmiedemeister. Er stellte neben seinem Koffer zahlreiche Kunstgegenstände aus Metall her, welche er mit ziselierten Ornamenten und Bildern versah. Auch nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft produzierte Karl Hampe Kunstobjekte, die über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg Zeugnis ablegen. Sein Freund Hermann Günther dagegen fand einen anderen Weg des Ausdrucks. Für einen Heimatabend in Jühnde malte er 1955 innerhalb einer Woche sieben großformatige Bilder, die eine besondere Qualität besitzen. Denn obwohl das Leben im Lager durch Härte und Entbehrungen gekennzeichnet gewesen ist, zeigt die Bildsprache des Malers einen leisen Humor. Die Figuren sind teilweise karikaturhaft überzeichnet und der Schrecken des Alltags im Lager wird eher in Details angedeutet.

Das Taschenmesser Heinrich Krögers steht somit für mich für eine Vielzahl von Objekten, die Schlaglichter auf das alltägliche Leben in der Kriegsgefangenschaft werfen. Über die Jahre des Lebens im Lager entstanden teils (über-)lebenswichtige Freundschaften, Abhängigkeiten und Netzwerke, welche in der Zeit danach Erinnerungen subjektiv prägten und innerhalb der Familien weitergegeben wurden. Während Kröger nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft äußerlich scheinbar reibungslos wieder an sein altes Leben anknüpfen konnte, sagt dies noch nichts über seine inneren Befindlichkeiten aus. Die Objekte geben hierzu keine Auskunft. Dies wird sichtbarer im künstlerischen Ausdruck von Herrmann Günther oder auch im kunsthandwerklichen Schaffen von Karl Hampe.

Steffen Wiegmann