Familie K. – Der zerrissene Geldschein
Station 4: Neues Zuhause, Berlin
Die Ankunft der Familie K. aus Syrien in Berlin im Oktober 2018 markiert den vorläufig letzten Schritt eines vierjährigen Lebens im Übergang. Vater, Mutter und vier Kinder im Alter zwischen knapp 2, 10, 15 und 16 Jahren. Das Foto, das Herr K. uns über das Mobiltelefon zusendet, zeigt verschiedene Dinge auf dem Schreibtisch des neuen Zuhauses. In diesem Flüchtlingsheim lebt die Familie in einer eigenen kleinen Wohnung mit Bad und Küche. Diese Ecke, in einem Zimmer der Wohnung, die er sich selbst eingerichtet hat, sei für ihn ganz besonders: Im Vordergrund befinden sich zwei Bildwörterbücher zum Erlernen der Sprache, die Titel der aufgestapelten Bücher im Hintergrund sind nicht zu erkennen. Sehr zentral dagegen sind die Deutschlandfahne und der Computer platziert, mit dem Herr K. das Interview, das wir in Friedland geführt haben, aufgezeichnet hat und auf dem er Bilder des noch nicht und schließlich zerstörten Familienanwesens in Aleppo aufbewahrt. Im Hintergrund an der Wand hängt das von ihm in Friedland im Grenzdurchgangslager gezeichnete Haus Nr. 43, in dem die Familie untergebracht war sowie Postkarten mit Aussagen von Zeitzeugen auf Arabisch aus dem Museum Friedland, auf denen diese ihre Befindlichkeit im Grenzübergangslager in kurzen Aussagesätzen formulieren.
Zuhause: Aleppo in Syrien
Das Zuhause von Familie K.: ein Stadtteil in Aleppo, nicht ganz im Zentrum gelegen, ein Stück Land, das seit vielen Jahren der Familie gehört, in Gemeinschaft mit den Geschwistern von Herrn K. und deren Frauen und Kindern sowie den Eltern in einem großen Haus lebend und arbeitend. Im Obergeschoss des großen Familienanwesens sind fünf Wohnungen für die Großfamilie, im Erdgeschoss die Arbeits- und Verkaufsräume der familieneigenen Textilfabrik. Dieses Haus ist 2013 vollkommen zerstört worden. Aus den Trümmern hat Herr K. einige Dinge des Alltags wie Küchenutensilien und Kleidungsstücke gerettet, alle Dokumente und Papiere aber sind verbrannt.
Während eines der zahlreichen Luftangriffe hat sich die Mutter von Herrn K. nicht im Haus befunden. Ihre Abwesenheit in diesem Moment und ihre bevorstehende Reise zu einer Tochter in die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihn emotional an einen Wendepunkt gebracht und er habe das Gefühl gehabt „seine Mutter niemals im Leben wiederzusehen“. Dies sei Anlass gewesen, einen syrischen Geldschein von geringem Wert in zwei Teile zu zerreißen und eine Hälfte der Mutter zu geben, die andere selbst aufzubewahren und ständig bei sich zu tragen. Diese Geste sei verbunden mit der Hoffnung, beide Hälften mögen eines Tages wieder zu einem vollständigen Ganzen werden, ein Schein mit finanziell geringem und emotional für diese Familie aber sehr hohem Wert.
Samah Al Jundi-Pfaff, Ute Marie Metje