Portrait von Frauen im Iran

Nishtmans Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst abgelehnt. Sie legte Berufung ein und wartet nun auf die Entscheidung über ihr Asylverfahren. Trotz der Gefahr in den Iran abgeschoben zu werden, hat sich Nishtman dazu entschieden, sich in der Öffentlichkeit zur Lage im Iran zu äußern. Sie spricht zu Themen wie Meinungsfreiheit und Frauenrechten im Iran.

Ihre aktuelle Malerei thematisiert geschlechtsspezifische Belästigung und Gewalt. Konkreter versucht sie, mit dem Bild die unterschiedlichen und komplexen Formen von Gewalt gegen Frauen aufzuzeigen. Da die Künstlerin kaum Malausrüstung dabei hatte und weil sie das Bild auf eine möglichst „natürliche“ Art und Weise zeichnen wollte, nutzte sie Sonnencreme, Make-up, Mascara und eine Lidschattenbürste, um das Portrait einer Frau zu malen, das sie „Less than Half“ (Weniger als die Hälfte) nannte. Mit „natürlich” meinte sie, dass sie die Kosmetika nutzen wollte, die Frauen im Iran (und anderswo) nutzen, um sich zu schminken. Nur für den Hintergrund nutzte sie Filzstifte und Ölfarbe.

Das Zeichnen dieses Bildes war ein langer und intensiver Prozess des Arbeitens und Überarbeitens. Er findet seinen Ausdruck in den einzelnen Schichten aus Farbe und Schminke, die sie aufbrachte, bis sie das Gefühl hatte, dass das Bild ausdrückte, was sie sich vorgestellt hatte. Nishtman Abdollahi sagte, sie war überwältigt und umgeben von Schmerz, als sie begann an dem Werk zu arbeiten. Sie wollte ihre Wut und ihren Zorn ausdrücken.

Die Grausamkeiten, die im Iran gegen Frauen verübt werden sind vielfältig. Nicht alle sind auf den ersten Blick sichtbar, wie das blaue Auge wird die physische Gewalt an Frauen mit Schminke abgedeckt. Das Gemälde beschäftigt sich auch mit den mannigfaltigen Formen von gewaltvoller Kontrolle der Frauenkörper (im Bild wird er gefesselt dargestellt). Die Akteure, die die Frauen kontrollieren, sind vielfältig: Ihre Eltern, Ehemänner, Familien, aber auch die Gesellschaft generell, die sozialen und emotionalen Druck ausübt, und schließlich auch die staatlichen Akteure, die Frauen für unterschiedliche Formen des Ungehorsam bestrafen oder töten (1). Nicht einmal die Herzen sind frei, da die Frauen unter diesen Umständen nicht selbst wählen können, wen sie lieben, da dies aus unterschiedlichen Gründen – wie Status und Familienangelegenheiten, aber auch aufgrund der Verfolgung von sexuellem Nonkonformismus – unmöglich ist.

Ein Stück Stoff, das in letzter Zeit mutig von feministischen Aktivist*innen im Iran infrage gestellt wird und von Nishtman in Form von Ketten gezeichnet wurde, ist der Hijab, den Frauen gesetzlich gezwungen sind zu tragen.

Die Künstlerin befasst sich auch mit dem sozialen Druck, der durch Schönheitsideale ausgelöst wird, die Frauen dazu drängen, Operationen durchführen zu lassen. Im Bild symbolisiert das Pflaster auf der Nase diese Operationen und die dahinterstehenden Ideale. Des Weiteren gibt es andere Formen der sozialen Gewalt, wie verbale und sexuelle Belästigungen, denen Frauen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Auf dem Bild zeichnete Nishtman Abdollahi die verbalen Angriffe neben die Ohren der abgebildeten Frau. Allerdings entschied sie sich dazu, den beleidigenden, schmerzhaften und bedrohlichen „bullshit“, den sich Frauen im Iran anhören müssen, zu zensieren. Frauen können sich nicht gegen diese Drohungen wehren, ohne ernsthafte Folgen fürchten zu müssen, wie im Gemälde durch den zugenähten Mund dargestellt ist.

Die weibliche Stimme, die im Hals erstickt, der von Stacheldraht umschlungen ist, ist ein Verweis auf das Gesangsverbot für Frauen im Iran. Die Notenblätter, die im Hals der Frau abgebildet sind, stammen aus dem vierten Satz von Ludwig van Beethovens Streichquartett Nummer 16, „Der schwer gefasste Entschluss: Muss es sein? Es muss sein!“. Ein Lied, dass nicht nur die harten Entscheidungen anspricht, die Nishtman Abdollahi treffen musste, als sie ihr Zuhause verließ. Trotz der großen Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt war und ist, ist Nishtman entschlossen, sich nie den patriarchalen und religiösen Strukturen unterzuordnen. Deswegen kämpft sie im Gerichtssaal, in Form von politischen Engagement und mit ihrer Kunst, in der sie ungewöhnliche Materialien umwidmet und einen aufwühlenden Effekt erzielt, dem schwer zu widerstehen ist.

Friedemann Yi-Neumann

[1] Die Situation von Frauen und Mädchen im Iran wird im Bericht des Generalsekretärs der U.N. unter folgendem Link kurz dargelegt https://undocs.org/A/75/287 und in der folgenden Pressemitteilung der UN genauer beschrieben: https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=26862&LangID=E

[2] Eine der bekanntesten Aktivist*innen ist Nasrin Sotoudeh, eine iranische Menschenrechtsanwältin, die Menschen verteidigte, die gegen das Kopftuchtragen protestierten. Sie selbst protestierte gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Zwang zum Tragen eines Kopftuches und wurde im März 2019 zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt.

[3] Beschrieben zum Beispiel in folgendem Artikel: https://independentaustralia.net/life/life-display/unveilingsexual-harassment-against-women-in-iran,11512

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