Signalwesten, der unsichtbare soziale Status von Flüchtenden und die neue Sichtbarkeit von freiwilligen Helfern

Auf dieser Reise konnte ich erleben und bezeugen, welch starke Kraft die verschiedenen Reflexionswesten mit sich tragen. An Grenzübergängen oder in Flüchtlingszentren waren Reflexionswesten allgegenwärtig. Gelb, blau, rot... sie senden verschiedenste Botschaften durch ihre diversen Logos, Worte und Sätze: PRESSE, Rotes Kreuz, Caritas, arabisch-deutsch Übersetzer oder Polizei. Alle in verschiedenen Sprachen, Typografien und Bildern, die die Macht verdeutlichen, mit der die Person ausgestattet ist, die die Weste trägt.

Ich schloss mich einer Gruppe von Geflüchteten an, als sie auf der kroatischen Seite der Grenze zu Ungarn aus dem Zug stiegen. Wir wurden schnell weitergeführt und folgten den Anweisungen verschiedener ortsansässiger Personen mit reflektierenden Westen: Kroatische Polizist*innen, Bahnarbeiter*innen, Sanitäter*innen und Freiwillige des Roten Kreuzes. Schließlich wurden wir auf der ungarischen Seite von bewaffneten Polizeibeamt*innen empfangen, die ebenfalls Warnwesten trugen und ihre Tarnanzüge für diesen Anlass verbargen.

Die lange Schlange von Geflüchteten setzte sich über eine Fußgängerbrücke fort und führte durch eine Tür im hohen und langen Stacheldrahtzaun, der die Staatsgrenze zwischen Kroatien und Ungarn markiert. Ein Übersetzer mit gelber Weste erklärte auf Arabisch durch ein Megaphon, dass der humanitäre Korridor noch offen sei und dass alle Geflüchtete der Gruppe einen kostenlosen Zug über Ungarn bis zur österreichischen Grenze nehmen sollten. Ein Ausweis war nicht erforderlich; die gesamte Gruppe war sozial unsichtbar. Bevor die Geflüchteten in diesem neuen Land in den Zug stiegen, gab eine Gruppe von Freiwilligen mit gelben Reflekorwesten durch einige Worte der Begrüßung und gutherzigen Grüßen dem Ort eine menschliche Note. Ich trat aus der Gruppe heraus, um einige Fotos zu machen, von denen eines einen Freiwilligen mit den Worten "WIR SIND ALLE GLEICH" auf seiner Weste zeigte. Wie immer versuchte ich sicherzustellen, dass die im Bild sichtbaren Geflüchteten unscharf waren, um ihren unsichtbaren sozialen Status zu schützen, indem ich sie unerkennbar machte.

Da der Freiwillige den Geflüchteten zugewandt war, blieb die Botschaft seiner Weste vor ihnen verborgen und nur für den außenstehenden Betrachter sichtbar. Während ich erneut meine Fotographien anschaute und über den Gegenstand der Reflektorwesten nachdachte, wurde mir klar, dass diese Botschaft auf unterschiedliche Weise interpretiert werden konnte: Sind alle Menschen, die eine Reflektorweste tragen, gleich? Oder sind alle Reflektorwesten gleich? Wenn alle eine Reflektorweste anziehen, reflektiert sie dann nicht mehr?

Nachdem ich aus der Gruppe Geflüchteter herausgetreten war, um Fotos zu machen, dauerte es nicht lange, bis mich ein Polizeibeamter fragte, was ich dort zu suchen hätte. Ich gehörte nicht dazu; nachdem ich die Gruppe verlassen hatte, war ich nun der Einzige, der ohne eine Reflektorweste, die meine Anwesenheit legitimiert hätte, außen stand. Meine Kamera hatte mich für ein paar Minuten geschützt, aber eine Presseweste hatte ich nicht. Wir Ethnolog*innen tragen keine Reflektorwesten! Die Polizei hielt mich vorübergehend auf, aber nach ihren Drohungen sowie meinen Erklärungen, in denen ich dazu gebracht wurde, meine Rechte und meinen Status als EU-Bürger geltend zu machen, konnte ich schließlich meine privilegierte Fähigkeit, (un)sichtbar zu sein, wiedererlangen und die Reise fortsetzen.

Während meiner Reisen mit den Geflüchteten wurde ich schnell auf anonyme Freiwillige und ihre kollektiven Bemühungen aufmerksam, Geflüchtete zu unterstützen, die an ihren Orten vorbeiziehen. Im Jahr 2015, als die sogenannte "Flüchtlingskrise" in den Fokus der Massenmedien geriet, waren diese Freiwilligen plötzlich viel stärker sichtbar. Sie beklagten sich über die Kriminalisierung ihrer humanitären Arbeit und den Mangel an Koordination, Kooperation und Ressourcen seitens der Staaten, der Europäischen Union und des UNHCR. Eine Veränderung, die aus dieser neugewonnenen Sichtbarkeit resultierte, war, dass die Freiwilligen von der Polizei gezwungen wurden, sich zu identifizieren. Daher hatten sie begonnen, reflektierende Westen zu tragen, genau wie die Polizei, während sie versuchten, die praktische und symbolische Unterscheidung zwischen "uns" und "ihnen", den Held*innen und den Bösen, hervorzuheben.

Die neu gewonnene Sichtbarkeit unter den Freiwilligen, unterstützt durch das Artefakt der gut sichtbaren Reflektorweste – dem gleichen Signalobjekt, das von staatlichen Kontrollorganen verwendet wird, die sie zu untergraben versuchen – wurde in etwas Positives umgewandelt. Sowohl von den Freiwilligen als auch von den staatlichen Agenturen verwendet, sind die Reflektorwesten und ihr Merkmal der hohen Sichtbarkeit zu einem zentralen Objekt und Kommunikationsmittel geworden, das Teil der Markierung eines Weges und humanitären Korridors zu Frieden und Zuflucht in Deutschland oder der Europäischen Union ist.

Die vorübergehend nicht-differenzierbare und daher unsichtbare Masse von Geflüchteten, Migrant*innen und Menschen in Bewegung ist der Bedrohung durch Sichtbarkeit und Ausgrenzung ausgesetzt, wenn sie eine Route passiert, die von gut sichtbaren Reflektorwesten tragenden Beamt*innen geleitet wird, welche das Regime der Mobilität der Festung EU kontrollieren.

Ignacio Fradejas-García

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Dies ist eine Kurzfassung des Artikels:
Fradejas-García (2017) Reflecting the Refuge Crisis: On the object of high-visibility reflection vests in humanitarian refugee corridors to the European Union.
The Unfamiliar, 7(1), 43-47.

https://doi.org/10.2218/unfamiliar.v7i1.1892

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