Vorwort

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen externen Beitrag zu dieser Website, die von Hoşeng Hesen, einem kurdisch-syrischen Journalisten aus Qamişlo, eingereicht wurde. Gepostet bei Twitter weckte das Bild der zerstörten Kamera von Dilîşan Îbiş das Interesse des Projektteams.

Hoşeng Hesen beschreibt hier die Emotionen und Erfahrungen, die er mit der Kamera verbindet: die Gewalt des syrischen Bürgerkrieges, die ganz persönlichen Verlusterfahrungen durch den Tod einer Kollegin und engen Freundin, sowie die Gefahren, Herausforderungen und alltäglichen Schwierigkeiten journalistischer Arbeit in Syrien. Gleichzeitig ist der Beitrag jedoch auch ein Ausdruck von Hoffnungen und großer Bereitschaft, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, in Zukunft in Frieden selbstbestimmt in einer demokratischen und pluralen Gesellschaft [1] leben zu können. Nicht zuletzt möchte dieser Beitrag den Toten und ihren Dingen den ihnen gebührenden Platz einräumen.

Hoşeng Hesens Beitrag spiegelt die Perspektive eines persönlich und politisch involvierten Insiders wieder. Dies führte zu einigen Diskussionen innerhalb des Projektteams, denn der Text unterscheidet sich von seinem Charakter her von der grundlegend ethnografischen Ausrichtung der Website. Kontrovers diskutiert wurde u. a. die Frage, ob ein Objekt, das auf den ersten Blick nichts mit Materialität von Flucht und Migration zu tun hat, auf dieser Website platziert werden soll. Ferner wurde darüber disputiert, ob der von Pathos getragene Stil und die Intention des Textes, weniger das Objekt ins Zentrum stellt, sondern vielmehr als eine Art Märtyrergedenken für Dilîşan Îbiş verfasst wurde.

Hesens Beitrag wurde dennoch als ein wertvoller Beitrag zu diesem Projekt, als eine aktuelle Stimme aus dem vielfältigen Stimmenmosaik des kriegsgeplagten Landes aufgenommen.

Leider haben sich im Oktober 2019 die von Hoşeng Hesen in seinem Artikel geäußerten Bedenken hinsichtlich einer türkischen Invasion im Nordosten Syriens bewahrheitet. Die türkische Armee und verbündete islamistische Milizen eroberten Teile von Rojava im Zuge einer angeblichen Antiterror-Kampagne. Nach Angaben von Amnesty International wurden 300.000 Menschen vertrieben, mehr als 200 Zivilist*innen wurden durch Angriffe getötet. Außerdem gab es zahlreiche Hinrichtungen von unbewaffneten Bewohner*innen, wie die der kurdischen Politikerin Hevrin Khalaf. Darüber hinaus wurden Zivilist*innen von den Invasionskräften entführt und gefoltert. [2]

Diese dramatischen Entwicklungen bedrohen das einzige Projekt demokratischer Selbstverwaltung in Syrien. Und in diesem Windschatten dieser Offensive hat sich der so genannte islamische Staat bereits wieder neuformiert.

Friedemann Yi-Neumann

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