Zuhause ist, wo mein Vater ist
Das Foto wurde von Mostafa Rezai gemacht, dem Fotografen und Grafikdesigner, den ich in Die neue Kamera vorgestellt habe und der ein afghanischer Migrant im Iran war. Er machte das Foto von seinem Vater, um in einem landesweiten Fotowettbewerb teilzunehmen. Das Foto gewann einen Preis von 10 iranischen Goldmünzen, die zu dieser Zeit etwa 4.000 Euro Wert waren. Das Bild zeigt seinen Vater schlafend auf dem Boden, seine Beine sind an die Heizung gelehnt. Seine Socken sind über die Hosenbeine seines Schlafanzugs gezogen (ältere Männer tragen für Gewöhnlich Schlafanzughosen unter ihrer Kleidung, um die Kälte abzublocken), neben ihm stehen eine metallene Teekanne [2], zwei leere Gläser, wovon eines umgekippt auf der Seite liegt.
Das Bild zeigt eine alltägliche Situation, es sieht aus wie ein Mittagsschlaf, friedlich, mit einer Art Leichtigkeit in der Luft. Auf dem ersten Blick wirkt es nicht besonders künstlerisch eindrucksvoll. Allerdings erzählt die Bildunterschrift, die auf Instagram gestellt wurde, mehr darüber: „Stabil wie ein Berg, auch wenn er schläft. Jeden Tag, wenn ich die Teekanne neben ihn stelle, sehe ich ihn in einer tiefen Stille ertrinken und frage mich, an welchen inneren Aufschrei diese tiefe Stille gebunden ist. Manchmal höre ich ihn irgendwas flüstern, ich spitze meine Ohren und höre Verse aus Masnavi [3]. Ich schaue ihn an und fühle mich zuversichtlich in unserem Sein. Es ist egal, was im Leben auf uns zukommt, wohin es uns verschlägt, schließlich haben wir ihn, der uns beschützt und auf uns aufpasst. Es ist egal, wie weit weg wir von Zuhause sind. Für mich ist mein Zuhause, wo mein Vater ist (…)“ [4].
Es ist die Bildbeschriftung, in der der Fotograf seine Gefühle ausdrückt, seine Hoffnungen und Gedanken über seine eigenen Migrationserfahrungen: Seine Worte enthüllen, dass hinter der Ruhe und Leichtigkeit des Mittagsschlafs viele Widrigkeiten und Schmerz liegen [5]. Die Widrigkeiten und Schmerzen, die eine migrantische Familie aushalten müssen, um im Iran einen Hafen zu finden, in der Hoffnung endlich Frieden zu finden. Aber selbst nachdem eine Generation vergangen ist, werden sie nicht als Staatsbürger*innen betrachtet und behandelt. Die Widrigkeiten und der Schmerz, vor denen Mostafa bei seinem Vater Zuflucht findet, einer Figur, die für ihn ein Zuhause bedeutet, in welchem er sich sicher und geschützt fühlt vor den Gefahren, die nach etwa dreißig Jahren des Lebens im Iran immer noch bestehen und ihr Leben beeinflussen.
Malihé Bayat Tork